*Traducción al alemán de Ajuar por Vanessa Osswald
Lavendeltaschen, Mottenkugeln, Samen in kleine Säcke gestopft, Seifenstückchen. Dinge, die mir immer wieder in die Hände fielen, während ich in Schubladen von Kommoden und Kleiderschränken meiner Großmütter stöberte. Nicht in allen, das Amulett war den Orten vorbehalten, die Wichtiges beherbergten – Schützenswertes. Nicht nur Kleidung, auch Briefe, manch Foto, zusammengeschnürte Bündel Papier. Früher oder später jedoch taten die Motten letztendlich ihre Arbeit. Denn dies ist ihre Aufgabe, ihr Bedürfnis, von Geburt an zu wachsen. Bevor sie zu einem kleinen nächtlichen Schmetterling wird, beginnt die Larve, Papier, Kleidung, alles Hab und Gut, Lumpen, Lebensmittel zu verschlingen. Sie macht zu Staub, woran sie langsam zu nagen beginnt, sie lässt es verschwinden: Von einem geschätzten, wohl aufbewahrten Gegenstand zum Nichts. Und wir schlafen, während sie sich still und leise ernähren; von Partikeln, die Teil von uns waren und zu uns gehörten. Annie Ernaux schreibt in ihrem Buch’Regarde les lumières, mon amour'(Cabaret Voltaire, 2021), dass wir uns unsere Erinnerungsgegenstände und -Orte selbst aussuchen oder besser gesagt dass der Zeitgeist entscheide, was es verdiene, im Gedächtnis zu bleiben. Und ich denke an die Erzählung, an das fortwährende Bild der häuslichen und eingeschränkten Frau. Ich versuche, den Klang der Larven zu erraten, während sie sich ernähren. Vielleicht sind meine Ohren nicht für ihre Art zu sprechen gemacht. Doch beim Schreiben gibt es keine Motten, die verschlingen, die trennen, die zermahlen und zerstören, die die Abwesenheit in sehr klarer und präziser Form eingrenzen. Es gibt Körper, es gibt Hände, es gibt Ideen und Handlungen, Haltungen und Gedanken. Es gibt immer eine Handlung und eine politische Absicht, die dahintersteckt. Es gibt weder eine Chance für Larven noch für neue Generationen, Erzählungen und Leben, Erinnerungen, Ahnentafeln, Verbindungen verschwinden zu lassen. Die Mehrzahl der Erzählungen, die uns umgeben, mit denen wir aufwachsen und die uns noch immer nähren, gründet weiterhin auf der Abwesenheit, auf der Unkenntnis und Missachtung gegenüber den Geschichten und Leben der Frauen, die unsere Vorfahren waren. Obwohl sich am Ende der Graben auftut und wir andere Stimmen erahnen, begleitet uns diese unsichtbare und reaktionäre Vergesslichkeit immer noch zu Tisch; oft ganz unbemerkt, getarnt als Nostalgie und Sehnsucht nach einer Zeit, in der viele verschlungen, ausgegrenzt, misshandelt, zum Schweigen gebracht wurden. Vielleicht bereiteten mir die Frauen meiner Familie deshalb seit meiner Kindheit diese Gaben vor. Meine Großmutter nannte sie Grundausstattung der unabhängigen Frau. Darin Gegenstände ohne größeren Wert, aber vor allem Worte: ihrer Leben und ihres Verzichts, all der Momente und Handlungen, in denen andere für sie entschieden, in denen sie ihre Leben, ihre Körper, ihre Entscheidungen nie selbst in der Hand hatten. Deshalb ist der Satz, der sich hierin am häufigsten wiederholt hat «möge ihr all das zu Teil werden, was ich nie hatte», wobei sich das nicht nur auf materielle Dinge bezieht, sondern auf die Freiheit und die Unabhängigkeit. Auf ein Recht, zu entscheiden. Diese Gaben, sie beinhalten keine Sehnsucht nach einem besseren Gestern, auch keinen Neid auf das Leben einer Großmutter, die zwei Tage zur Schule für Analfabeten ging, oder gar Argwohn gegenüber dem meiner Mutter, die mit zwölf Jahren die Schule verlassen musste, um Oliven zu pflücken. Zwischen all diesen Gaben befinden sich Motten, aber sie berühren weder die Erinnerung, noch vergessen sie den Verzicht, den Machismo, die Ungleichheit, das Vergangene. Eben dort befinden sich Motten, die sich von uns ernähren, die wachsen, ohne Vergessen, ohne Abwesenheit zuzulassen. Dort sind Motten und Lust und Eifer, viel Streben danach, sich andere Geschichten anzusehen, außer jener offiziellen und schädlichen, die gepredigt wird, um sich anders mögliche Wirklichkeiten vorzustellen. Deshalb verbanne ich heute Lavendel und Mottenkugeln aus dieser Kolumne hier. Mögen die Larven und die neuen Generationen mit dieser reaktionären Nostalgie und Vergesslichkeit ihre Arbeit tun.
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Vanessa Osswald wurde am 2. Mai 1997 in Ulm geboren. Bereits zu Schulzeiten entwickelte sie eine große Leidenschaft für Fremdsprachen und Literatur. Nach ihrer Abiturprüfung im Jahr 2016 begann sie an der Universität Augsburg zu studieren und beschäftigt sich als romanistik-Studentin mit den Sprachen Spanisch, Französisch und Italienisch. Im Laufe ihres Studiums widmete sie sich jedoch mehr und mehr der hispanistischen Literatur, für die sie ein außergewöhnliches Interesse entwickelte. Im November 2020 begann sie, als studentische Hilfskraft und Tutorin an der Professur für Romanische Literaturwissenschaft (Spanisch/ Portugiesisch) zu arbeiten, was sie erste Erfahrungen in der Lehre sammeln lässt und ihr erlaubt, ihre bereits gewonnenen Kenntnisse zu erweitern, indem sie in verschiedene literarische und kulturelle Projekte der Professur integriert ist. Seit April 2021 ist sie Teil des unlängst ins Leben gerufenen Taller de traducción literaria, was ihr die Möglichkeit bietet, ihre Kenntnisse und Fähigkeiten bezüglich der sehr detaillierten Arbeit mit jeglicher Art von Texten eingehender zu vertiefen. Im Winter 2022 wird sie mit ihrem Master beginnen und sich weiter im Bereich der hispanistischen Literatur und Kultur spezialisieren.
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Vanessa Osswald nació el 2 de mayo del año 1997 en la ciudad de Ulm. Ya en el colegio se apasionó por las lenguas extranjeras y la literatura. Después de su examen de bachillerato en 2016 empezó a estudiar en la Universidad de Augsburgo y como estudiante de filología románica se dedica al español, al francés y al italiano. En el transcurso de sus estudios, sin embargo, se fue dedicando cada vez más a la literatura hispánica por la cual desarrolló un extraordinario interés. En noviembre de 2020 comenzó a trabajar como tutora en la cátedra de literatura hispánica de la Universidad de Augsburgo lo que le posibilita ganar sus primeras experiencias didácticas y al mismo tiempo le da la oportunidad de ampliar sus conocimientos adquiridos participando en diversos proyectos literarios y culturales. Desde abril de 2021 forma parte del joven taller de traducción literaria de la misma universidad lo que le permite profundizar sus conocimientos y desarrollar aún más sus capacidades de trabajar de manera muy detallada con diversos tipos de textos. En invierno de 2022 empezará con su maestría especializándose en el ámbito de la literatura y la cultura hispánicas.